Mich hat die Frage interessiert, ob der Einbau eines Tieferlegungskits in Form längerer "Knochen" negative Auswirkungen auf das Ansprechverhalten der Hinterradfederung mit sich bringt. Bei dem Motorrad handelt es sich um die XT 660Z ohne ABS, also mit 200mm Federweg an der Hinterradschwinge. Das montierte Tieferlegungskit stammt von OTR und verspricht eine Absenkung um 35 mm.
Rein empirisch machte ich die Erfahrung dass die auf den Originalzustand zurück gerüstete Ténéré wieder wesentlich feinfühliger auf Bodenunebenheiten anspricht bzw. diese abfedert als mit dem Tieferlegungskit, welches ich über etwa 10.000 km montiert hatte. Die physikalische Erklärung zu dieser Feststellung liegt in der Veränderung der durch die Hebelumlenkung verursachten Progression beim Einfederungsvorgang, die Montage des Tieferlegungskits stellt einen Eingriff in die vom Konstrukteur berechnete Kinematik dar.
Auf Motorradonline fand ich einen Fachartikel, der die Arbeitsweise einer progressiv arbeitenden Hebelumlenkung erklärte. Die Veränderung der Kinematik durch die Montage des Tieferlegungskits habe ich versucht mittels dieses Fotos zu verdeutlichen:
1. Auf dem Bild ist der mit drei Bohrungen versehene Umlenkhebel zu erkennen. Am Ausgangspunkt des magentafarbenen Pfeiles befindet sich seine Drehachse, bier ist er mit dem Rahmen verbunden. Darunter, an der Pfeilspitze, befindet sich das Aufnahmelager für die beiden "Knochen", das sind die langen Profile welche die Zugkraft beim Einfedern der Schwinge zum Hebel weiterleiten. Das dritte Lager rechts daneben stellt das untere Federbeinauge dar.
2. Beim Einfedern der Schwinge ziehen die beiden Knochen am Umlenkhebel und drehen ihn gegen den Uhrzeigersinn. Dabei wird Druckkraft auf das Federbein ausgeübt.
3. Am effektivsten wird diese Zugkraft übertragen, wenn der Vektor rechtwinklig auf der Verbindungslinie der beiden Lager steht, welche duch den magentafarbenen Pfeil dargestellt wird. Mit anderen Worten: In dieser Ausgangslage spricht die Federung am sensibelsten an, weil hier schon relativ geringe Zugkräfte eine Kompression des Federbeins bewirken.
4. Der gelbe Pfeil entlang der Knochen zeigt die Richtung des Kraftvektors bei der Ténéré im Originalzustand an: nicht mehr ganz rechtwinkelig zum magentafarbenen Pfeil, aber fast. Also noch feinfühliges Ansprechen, aber schon mit etwas mehr Widerstand: leichte Progression.
5. Der rote Pfeil zeigt die Richtung des (Zug-) Kraftvektors bei einer stark einfedernden Schwinge an, z.B. beim Überfahren einer starken Unebenheit. Die Richtung des Vektors weicht jetzt noch stärker vom rechten Winkel ab, die Hebelübersetzung wird noch ungünstiger. Das bedeutet, dass für eine weitere Kompression des Federbeins wesentlich mehr Zugkraft durch die Schwinge aufgewendet werden muss als in der Ausgangslage. Dadurch wird der verbleibende Federbeinhub geschont, ein frühes Durchschlagen verhindert. Das ist das Funktionsprinzip einer progressiv arbeitenden Hebelumlenkung.
Und zu der Ausgangsfrage: Vermindert eine Tieferlegung das Ansprechverhalten der Hinterradfederung?
Ja, denn durch die Montage längerer Knochen dreht sich die Richtung des Zugkraftvektors weg vom rechten Winkel, je länger die Knochen desto ungünstiger die Hebelübersetzung. Für diese Fahrwerksmodifikation kann man den roten Pfeil schon in Ausgangslage (bei unbelasteter Hinterradschwinge) als Zugkraftvektor einsetzen. Das Fahrwerk verliert seinen fein ansprechenden Ausgangsbereich und arbeitet schon von Beginn an in einer fortgeschrittenen Progression.